Frauen mit Magersucht (Anorexia Nervosa) weisen eine deutlich reduzierte Dichte grauer Zellen in bestimmten Bereichen des Gehirns auf, die mit der Verarbeitung von Körperbildern zu tun haben.
Dieses Ergebnis brachten Untersuchungen magersüchtiger und gesunder Frauen, deren Selbsteinschätzungen Forscher der Ruhr-Universität Bochum mit den Analysen von Kernspintomografen verglichen, zutage. Nicht nur war bei anorektischen Patientinnen das gesamte Volumen des Gehirns verringert, sondern es fielen in zwei Regionen des Gehirns besonders starke Verringerungen der grauen Zellen auf: die eine Region wurde vor einigen Jahren als diejenige identifiziert, die vorrangig für die visuelle Verarbeitung von menschlichen Körpern zuständig ist (Extrastriate Body Area, EBA), die zweite Region mit verminderter Dichte grauer Substanz befand sich im oberen, hinteren Teil des Schläfenlappen – und auch diese Gehirnregion wird mit der Verarbeitung von Körperbildern in Verbindung gebracht.
Nicht sicher sind die Forscher derzeit noch, ob es sich bei den Auffälligkeiten des Gehirns um eine Prädisposition handelt, die die Entstehung einer Essstörung begünstigt, oder um Veränderungen, die erst durch die Krankheit auftreten. Die Auffälligkeiten im Gehirn könnten jedoch das Zustandekommen der gestörten Wahrnehmung des eigenen Körpers bei Frauen mit Essstörungen erklären: die Patientinnen nehmen sich selbst als dick wahr, obwohl sie objektiv untergewichtig sind – ein aufrechterhaltender Faktor für die Essstörung.
Aus psychotherapeutischer Sicht ist zu sagen, daß eine Einschränkung des wissenschaftlichen Suchfokus auf ein simples “Entweder – Oder” vermutlich nur teilweise sinnvoll nutzbare Ergebnisse zutage fördern dürfte. Die Erfolge von Psychotherapie in der Behandlung von Eßstörungen zeigen ja gerade, daß die betreffenden Hirnveränderungen offensichtlich nicht irreversibel sein dürften oder zumindest nicht zwangsläufig lebenslang zur Anorexie verurteilen. Forschungen rund um das Phänomen der Neuroplastizität unterstützen die Hinweise auf derartige Wechselwirkungen (siehe auch mein Artikel zur Behandlung der Depression).
(Quelle: Behavioral Brain Research Vol 206, Issue 1, 5 Jan 2010, pg 63-67 (doi: 10.1016/j.bbr.2009.08.035))